Zwischen Vorfreude und Fokus: Kendlbachers EM-Abenteuer
Wenn Österreichs Dressurteam in dieser Woche bei der Europameisterschaft in Corzet (FRA) in das Viereck reitert, sind die Rollen klar verteilt: Mit Florian Bacher und Stefan Lehfellner stehen nach dem Verzicht von Victoria Max-Theurer und Abegglen FH NRW zwei Routiniers im Aufgebot, die allesamt schon Olympische Spiele und Championate bestritten haben. Und dann ist da noch sie: Bettina Kendlbacher, 36 Jahre, mit ihrem Broadmoar’s Don Alfredo AWÖ – erstmals auf der ganz großen internationalen Bühne.
„Ich kann es noch gar nicht so richtig fassen“, strahlt Kendlbacher. „Vor einem Jahr hätte ich nicht gedacht, dass wir hier stehen. Jetzt ist es Realität – und einfach unfassbar cool.“ Der Weg dorthin war kein Sprint, sondern ein Prozess. Schritt für Schritt ist die Steirerin mit ihrem Sportpartner in die Aufgaben hineingewachsen, hat sich über konstante Leistungen empfohlen. „Es ist unglaublich, was in den letzten Monaten passiert ist. Wir haben uns beide weiterentwickelt und immer wieder bestätigt, dass wir auf diesem Niveau bestehen können.“ Besonders stolz ist sie auf die Auftritte beim entscheidenden Dressur-Turnier in Achleiten im Juli: „Da hatte ich das Gefühl, dass wirklich alles zusammengepasst hat. Wir haben zwei richtig starke Runden gezeigt. Ein besonderes Erlebnis.“
Dass sie trotz der Premiere nicht von Nervosität überrollt wird, liegt auch an konsequentem Mentaltraining. „Vor der Qualifikation in Achleiten war ich wahnsinnig nervös. Aber ich habe gelernt, meinen Fokus zu finden – das gibt mir jetzt Sicherheit. Überraschenderweise bin ich momentan ziemlich entspannt. Vielleicht kommt die Nervosität ja noch, die Vorfreude ist jedenfalls schon da.“
Kendlbacher geht ihre erste Europameisterschaft mit einer klaren Einstellung an: prozessorientiert. „Natürlich könnte ich mir Ziele setzen wie ‚in den Special kommen‘ oder eine bestimmte Wertnote reiten. Aber ich weiß, dass es mir nicht guttut, Druck aufzubauen. Mein Ziel ist es, eine schöne, souveräne Runde zu zeigen. Alles andere liegt nicht in meiner Hand.“
Ihr Partner im Viereck, Broadmoar’s Don Alfredo AWÖ, hat ebenfalls einen ehrgeizigen Charakter. „Er ist ein kurzes Pferd, sehr sensibel und immer motiviert – da entsteht leicht Spannung. Deswegen ist es wichtig, ihn locker und zufrieden zu halten. Lektionen kann er, vor allem in der Galopparbeit fühlen wir uns sehr stark.“ Serienwechsel, Traversalen, Pirouetten – dort blüht das Paar regelmäßig auf.
Bis zur Abreise blieb das Training bewusst dosiert: ein freier Tag, lockere Bewegung, punktuell Feinschliff. „Er ist fit, und jetzt geht es darum, dass er motiviert bleibt und Spaß an der Arbeit hat.“
Am Sonntag bricht das österreichische Team nach Frankreich auf. Während die Routiniers bereits unzählige Großereignisse hinter sich haben, ist für Bettina Kendlbacher alles Neuland. Aber gerade das macht ihren Start so besonders: ein Mix aus Vorfreude, Respekt und der großen Chance, sich auf internationaler Bühne zu beweisen. „Es ist ein Meilenstein für uns beide“, sagt sie – und man nimmt ihr ab, dass sie jede Minute davon genießen wird.